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ÜBER DIE FRAGE: GIBT ES DEN KAIROS? ODER SCHICKSAL IN BEGEGNUNGEN

Autorenbild: Saskia LacknerSaskia Lackner

Source: @Netflix, Indian Matchmaking

Zur Zeit schaue ich auf Netflix „Indian Matchmaking“, eine Sendung, in der junge Inder (und Inderinnen natürlich) in Indien, den USA und darüber hinaus Partner aus der indischen Community oder in der richtigen Kaste suchen. Sie erhoffen sich Unterstützung durch eine sehr erfolgreiche Heiratsvermittlerin, die auch gleich „Auntie“ von allen genannt wird. „Tantchen“ sagt selbst auch, dass sie für ihre Kandidat_innen so sucht, als seien es „ihre“ Kinder, Nichten oder Neffen. Oder Cousins. Jedenfalls Verwandtschaft. Ich schätze, das begünstigt den wohlwollenden Blick. Warum mich die Sendung so fasziniert ist, dass neben sonst auch üblicher Begleitung der Singles auf den Dates, wo ich als Beobachterin bereits versuche festzumachen, ob eine Kompatibilität gegeben ist, eben auch andere Methoden der Schicksalsdeutung herangezogen werden. „Auntie“ geht beispielsweise zur Antlitzanalyse. Oder zum Astrologen, um zu sehen, ob die jeweiligen Singles tatsächlich eine glückliche Zukunft haben könnten. Und je nachdem wie das Urteil ausfällt, wird das Match weiterverfolgt oder eben nicht. In manchen Fällen dienen die Astrologen auch als Coaches zur Persönlichkeitsentwicklung, wie im Falle von Aparna, einer indischen Juristin, die sich potentiellen Heiratskandidaten gegenüber sehr arrogant verhält. Hier weist der Astrologe sie dann sanft darauf hin, diesen Wesenszug doch weiterzuentwickeln, möchte sie einen passenden Partner finden. „Auntie“ sagt: „my efforts are meaningless if the stars are not aligned – matches are made in heaven” (indischer Akzent). Dennoch bleibt das, was die Singles aus der Begegnung machen selbstredend ihnen überlassen.



In vielen anderen Kulturen ist doch die Schicksalsorientierung eine andere. Ich kenne ja nur einen Bruchteil, aber ich denke z.B. an Taiwan. Im einen Tempel kann man durch sog. Divinationstechniken auf mehrere und scheinbar recht komplexe Art beispielsweise einen Schicksalszettel ziehen. Um anschließend um die Ecke zu gehen, in eine Art Amt, in dem Menschen in Uniform stehen, die an Beamte erinnert, sich dort eine Nummer ziehen wie beim Arbeitsamt, um schließlich die Deutung des eigenen Schicksals zu erfahren. Das machen junge und ältere Menschen ganz selbstverständlich, wenn Änderungen bevorstehen. Um Antworten auf Fragen zu bekommen. Soll ich diesen Job annehmen? Ist diese Heirat bzw. der Termin dafür günstig? Was steht mir überhaupt bevor?


Source: Eigenes Bild; @Saskia Lackner


Wird das Schicksal als weniger günstig prophezeit, gibt es dennoch Mittel und Wege, dies positiv zu beeinflussen, z.B. durch Geld- oder Gabenopfer an die Ahnen oder bestimmte Gottheiten, die für die „Blockade“ stehen. Das ist für sie genauso legitim wie bei uns die Psychotherapie. Oder Coaching. Hierzulande „arbeiten“ wir für unser Glück an uns selbst, Schicksalhaftes wie bestimmte Lebensabschnitte oder unveränderbare (Lebens-)Bedingungen werden eher ungern betrachtet. Ich, das Individuum, kann ja zumindest meine Einstellung dazu verändern. Hurra. Etwas, worauf letztendlich die westliche Psychologie basiert. Oder wie ein ehemaliger Vorgesetzter, frisch aus seiner schwindligen Coachingausbildung kommend, einst zu mir sagte „Reframe es doch einfach“ als ich auf die toxische Organisationskultur zu sprechen kam.


Aber ich schweife ab – wie so oft. Das Thema kann ja hier auch nur gestreift werden -größere Geister plagten sich mit der Suche nach Antworten. Wie steht es denn nun um meine persönliche Haltung zum Schicksal, zum Kairos, dem günstigen Moment? Kann dieser günstige Moment, wo sich das Schicksal positiv manifestiert nicht eh nur retrospektiv betrachtet werden? Würde jemand sagen: „So. Das er jetzt, genau am 8.8.2020 um 11:23 Uhr war mein günstiger Moment?“ Ist es nicht vielmehr Deutungs- und Bedeutungszusammenhang, den wir Momenten zusprechen? Wo aus Möglichkeitsräumen etwas geboren wird? Weil wir es nur dann sehen. Wenn aus einer Möglichkeit nichts entsteht, woher wissen wir dann, dass es eine Möglichkeit war? Z.B. wenn wir einen Menschen treffen, der unser Leben beeinflusst, so wissen wir um die Bedeutsamkeit ja erst hinterher und können diese erst benennen. Oder bei anderen wichtigen Lebensentscheidungen, seien es Job- oder Wohnortswechsel.


Vielleicht haben solche Divinationstechniken und überhaupt der Glaube an Schicksalhaftes uns ja etwas voraus, nämlich Geschehnisse, Begegnungen, Erfahrungen beinahe automatisch in einen größeren Zusammenhang stellen zu wollen. Das ist dann auch für die Frage nach dem Sinn leichter. Ich will hier allerdings kollektive Kulturen nicht romantisieren, aber die vermeintlich westlich geprägte Individuation nicht missen, die einem auch die Freiheit gibt, jenseits von festgelegten Zusammenhängen wie der eigenen Sippe agieren zu können. Beides ist wahrscheinlich nur in Maßen möglich, denn ganz so frei wie wir glauben sind wir vermutlich nicht. Aber das führt zu weit, und das in dieser Form. Ich „reframe“: wer weiß, wie vielen Menschen wir begegnet sind und keine bedeutsame Begegnung daraus gemacht haben, die es auch hätte sein können? Meine Idee befasst sich dieser Frage und Suchbewegung, die letztlich nie beantwortet werden kann.

Beitrag vom 08.08.2020

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